Topic

Fragestellung

Wir veranstalten im Herbst 2013 an der Freien Universität Berlin die studentische Konferenz zum Thema Perspektiven nach der Postmoderne im Rahmen der Institute für Philosophie sowie für Deutsche und Niederländische Philologie für junge GeisteswissenschaftlerInnen unterschiedlicher Fachrichtungen. Sie soll den Begriff der Postmoderne in seiner Vielschichtigkeit und Polysemantik ins Zentrum stellen und strebt, daran anknüpfend, eine Befragung des historischen, methodischen und begrifflichen Status quo der Geisteswissenschaften an. Wenn wir uns damit auseinandersetzen, wie wir als GeisteswissenschaftlerInnen Perspektiven nach der Postmoderne entwickeln können, bedeutet dies, den Blick auszurichten auf etwas, das im Kommen begriffen ist, und zugleich eine Positionierung zu versuchen, von wo aus dieser Blick gerichtet werden kann. Welche Möglichkeiten sind für die Geisteswissenschaften und die Philosophie  gegenwärtig zu entfalten, sich und ihre Fragestellungen zu verorten? Wie lässt sich der akademische Diskurs übersehen, wie umschreiben und wie in ihm weitersprechen?

Geistesgeschichtlich stellt die Postmoderne in erster Linie einen Bruch mit der Tradition des Denkens dar. Hermeneutische und historisierende Prozesse sind ebenso einer fundamentalen Kritik unterzogen worden wie der „Logozentrismus“ und die sprachtheoretischen Konzepte des Strukturalismus. Die Infragestellung gängiger Methoden anhand von Diskursanalysen und dekonstruktiven Lektüren ist unumkehrbar, und bietet, wie von ihren ProtagonistInnen ausdrücklich hervorgestellt, keine alternative Methode der Sinnproduktion. Mit dem Tod des Autors, dem entgrenzten (Kon- und Inter-)Text, dem Verzicht auf die Interpretation und mit dem Unbewussten des Textes steht die Analyse vor Aporien, die das Unternehmen der Geisteswissenschaften als unendlichen Regress erscheinen lassen.

Besonders aus Perspektive der Literaturwissenschaft hat die Metamorphose des Textes zum Kontext, welche die Postmoderne sichtbar gemacht hat, drastische Konsequenzen, nämlich den Wegfall der Sinnkriterien und die Infragestellung der Daseinsberechtigung auslegender Wissenschaft. So ist dem Zustand, dass aus Texten nur herausgelesen werden kann, was man vorher in sie hineingelegt hatte, methodisch immer noch nicht adäquat und konturiert begegnet worden. Weder eine vorgetäuschte Standortlosigkeit, noch eine Vielstimmigkeit im Diskurs können über die Parteinahmen der Interpretation und die Provenienzen des deutenden Blickes hinwegtäuschen. Anders gesagt, die reversierte Interpretation, der Text, der seine LeserInnen interpretiert, birgt eine epistemologische und ethische Problematik, deren Horizont herauszuarbeiten ist.

Jedoch nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Kunst steht vor der Herausforderung, anhand der umfassenden Infragestellung ihrer Wirkungsweise, ihrer Strategien der Sinnproduktion und ihrer Ökonomie neue Perspektiven des Selbstverständnisses zu entwickeln. Dabei stehen vor allem Fragen der Autorschaft und der Originalität im diskursiven Zentrum, aber auch der Werk- und der Medienbegriff, das Denken des Performativen und die Relation von künstlerischer Produktion und politischem Handeln.

Also beschränken sich die Auswirkungen des grundlegenden Verlustes vermeintlich homogener und konsistenter methodischer Voraussetzungen, die die postmodernen Theorien begleiten und die aus ihnen resultieren, nicht auf den Bereich geisteswissenschaftlichen und philosophischen Denkens. In den Blick geraten sind für den gesamten Raum des abendländischen Denkens zuvor vernachlässigte oder gar ausgeschlossene Themen und Inhalte. Beispielsweise sind mit Gender-Fragen und der politischen Theorie – als Aktualisierung des Marxismus‘, des Kapitalismus oder des (Neo-)Liberalismus oder als Denken der Kolonialisierung oder der Globalisierung – Prozesse vermittels der kritischen Revision der Geschichte des Denkens ins Zentrum zeitgenössischer Aushandlungsprozesse geraten; Prozesse, die nicht nur in der Sphäre der Wissenschaft stattfinden, sondern ebenso Handeln aus ästhetischer, politischer und ethischer Perspektive umfassen. Das Verhältnis von Denken und Handeln oder Theorie und Praxis bestimmt dabei die Fragestellungen im Rahmen postmoderner Positionen. Die Frage nach der gesellschaftlichen Dimension und der politischen Relevanz ist ein wichtiges Element der betreffenden Diskurse.

Über den Versuch einer Perspektivierung vor dem Hintergrund des postmodernen Denkens als eines Abschnittes jüngster Philosophiegeschichte hinaus soll somit die Postmoderne auch hinsichtlich ihrer begrifflichen Kontur, der Aktualität ihrer diskursiven Funktion und ihrer Handhabbarkeit als historische Zäsur befragt werden. In Frage steht damit  nicht nur die Ausgestaltung philosophischer und geisteswissenschaftlicher Selbstverortung, sondern ebenso dieser Ort selbst: nach, in oder über die Postmoderne hinaus.

 

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